Die Mobilität der Zukunft soll individuell, alltagstauglich sowie möglichst klimaneutral und emissionsfrei sein. Leichtbaulösungen auf Komponenten- und insbesondere Systemebene spielen bei der möglichen Erreichung dieser Ziele eine immer wichtigere Rolle. Dabei sind numerische Werkzeuge für die virtuelle Entwicklung und Optimierung von Leichtbaustrukturen unverzichtbar. Durch parametrische Modelle kann die Entwicklung leichter, kostengünstiger Strukturen beschleunigt und vereinfacht werden. Effiziente Modelle können zudem für Simulationen auf Systemebene und gemeinsam mit schwingungstechnischen Maßnahmen zur Optimierung des Gewichts und des NVH-Verhaltens genutzt werden.
Bislang steht der hohe Preis von Leichtbau-Komponenten einer durchgängigen und umfassenden Anwendung im Automobilsektor entgegen. Soll sich der Leichtbau für den Großteil verbauter Autokomponenten durchsetzen, müssen deren Gesamtbetriebskosten gesenkt werden. Im EU-Projekt ALLIANCE haben sich dazu sechs große Automobilhersteller, sechs Komponenten- und Materialzulieferer sowie verschiedene Forschungseinrichtungen zusammengeschlossen. Gemeinsam wurden Leichtbau-Konzepte und Technologien entwickelt und diese konsequent auf Systemebene bezüglich der Einsparung von Masse, Kosten und Treibhauspotential bewertet und optimiert. Bei unterschiedlichen Fahrzeug-Komponenten konnte das Gewicht um bis zu 30 Prozent reduziert werden – und dass bei Kosten von lediglich 3 Euro pro eingespartem Kilogramm.
Die Wissenschaftler am Fraunhofer LBF forschten in diesem Zusammenhang an der Modellbildung parametrischer und effizienter numerischer Modelle. Die Fahrzeugkomponenten wurden mittels Finite-Elemente-Modellen detailliert beschrieben und durch Verfahren der parametrischen Modellordnungsreduktion soweit vereinfacht, dass diese im Zeitbereich oder in Echtzeit gelöst werden können. Mittels multidisziplinärer Mehrzieloptimierung ist es möglich, optimale Designparameter zu bestimmen und die Wechselwirkungen zwischen verschiedensten physikalischen (z.B. mechanisch, akustisch) und nicht-physikalischen (z.B. Kosten, Umwelteinfluss) Domänen unmittelbar zu berücksichtigen. Zudem kann der Komponentenentwurf effizient und zielgerichtet in den Gesamtsystemkontext integriert werden und trägt somit zur Vereinfachung und Beschleunigung des Entwicklungsprozesses bei. Im Projekt ALLIANCE wurden die mechanischen Eigenschaften, die Kosten und der resultierende Umwelteinfluss ganzheitlich für den Lebenszyklus von Leichtbaukomponenten betrachtet und bewertet.
Die Optimierung der Materialeigenschaften von Bauteilen kann zudem gemeinsam mit schwingungstechnischen Maßnahmen (z.B. Tilger, Isolation, aktive Motorlager) im Hinblick auf Leichtbau, NVH und Kosten durchgeführt werden. Darüber hinaus ist die Definition von frequenz- oder amplitudenabhängigen Materialeigenschaften durch die parametrische Beschreibung der ordnungsreduzierten Modelle möglich.
Im Kontext der Digitalisierung ergeben sich für die entwickelten parametrischen Modelle zusätzlich mögliche Anwendungsszenarien als digitaler Zwilling. Digitale Zwillinge sind numerische Modelle der physikalischen Welt, die reale und virtuelle Informationen gemeinsam verarbeiten. Die Verknüpfung von berechneten und gemessenen Signalen ermöglicht eine detailliertere und erweiterte Analyse technischer Systeme. Die in den Entwicklungsphasen erzeugten echtzeitfähigen numerischen Modelle können zukünftig im operativen Betrieb zur Zustandsüberwachung und Zustandskontrolle verwendet werden. Bei der Überwachung werden die im Modell berechneten Werte als virtuelle Sensorik eingesetzt oder für einen automatisierten Online-Modellabgleich.
EU Horizon 2020, Grand Agreement No 723893, Partner: Daimler, Volkswagen, Fiat-Chrysler Research Centre, Volvo, Opel and Toyota, Thyssenkrupp, Novelis, Batz, Benteler, Swerea, Inspire, Fraunhofer LBF, RWTH-IKA, KIT-IPEK, University of Florence, Bax & Company, Ricardo