Haftvermittler verstehen: Analytische und mechanische Werkzeuge für den verbesserten Einsatz von Pfropfcopolymeren (HAWC)

Kreislaufwirtschafts-fähige Haftvermittler für Grenzfläche zwischen verschiedenartigen Thermoplasten

Kunststoffen kommt in vielen Anwendungen, wie für Verpackungen, Rohre, Folien für den Bausektor und Strukturanwendungen zukünftig eine noch stärkere Bedeutung zu. Dabei lassen sich gewünschte Eigenschaftsprofile (geringes Gewicht, hohe Festigkeit, kurze Zykluszeiten bei der Fertigung) zunehmend nur durch Verbundwerkstoffe und Mehrschichtfolien/-bauteile erreichen, bei denen unterschiedliche thermoplastische Kunststoffe mit Funktionsadditiven ausgerüstet werden. An der Grenzfläche zwischen den verschiedenartigen Thermoplasten kommt der Anbindung eine zentrale Rolle zu. Daher werden zur anwendungsgerechten Gestaltung von Grenzflächen häufig Pfropfcopolymere als Haftvermittler eingesetzt, die flexibel und in vielseitiger Weise an unterschiedlichste Anforderungen angepasst werden können. Eine zentrale Anwendung ist z. B. die Anbindung von Fasern (Natur-, Glas- und Carbonfasern) an polyolefinische Matrizes. Pfropfcopolymere werden ebenfalls eingesetzt, um eine Haftung zwischen Polyolefin-Compounds und metallischen oder mineralischen Oberflächen zu erreichen. Weiterhin wird mit Pfropfcopolymeren die Haftung in mehrlagigen Folien sichergestellt. Ganz neue Bedarfe für Haftvermittler sind durch den Übergang in eine Kunststoff-Kreislaufwirtschaft entstanden. Hier werden Haftvermittler mit neuen Eigenschaftsprofilen gefordert, welche zudem Anforderungen hinsichtlich Langzeitbeständigkeit und Gefährdungspotential erfüllen sollen.

Zur Herstellung von Haftvermittlern und Verträglichkeitsvermittlern werden häufig Polyolefine (Polypropylen, Polyethylen, Elastomere) mit ungesättigten (polaren) Monomeren mittels reaktiver Extrusion umgesetzt. Dabei kann es sich beispielsweise um cyclische ungesättigte Säureanhydride (insbesondere Maleinsäureanhydrid) handeln. Eine weitere Möglichkeit ist die partielle Oxidation von Polyolefinen während des Verarbeitungsprozesses, die in situ zur Bildung polarer funktioneller Gruppen führt.

Haftvermittler verstehen: Analytische und mechanische Werkzeuge
Links: Schematische Darstellung eines T-Peel Tests. Zwei Folien (orange und grün/schwarz) sind durch einen Haftvermittler (rot) verbunden und in Probenhalter eingespannt. Die Stärke der Adhäsion zwischen den Folien kann durch Haftvermittler wie Pfropfcopolymere eingestellt werden. Mitte: Schematische Darstellung von ortaufgelöster Spektroskopie an Mehrschichtfolien. Rechts: Lagenaufbau einer Mehrschichtfolie aus PP, PE und PA analysiert mittels konfokaler Raman-Mikroskopie (blau: niedrige Konzentration, rot: hohe Konzentration).

Das Verständnis der molekularen Struktur der so hergestellten Haftvermittler ist jedoch gegenwärtig sehr lückenhaft, da keine geeigneten analytischen Messprotokolle dafür existieren. Die mittleren Molekulargewichte werden, wie bei teilkristallinen Polyolefinen üblich, häufig durch Messung der intrinsischen Viskosität oder Hochtemperatur-Gelpermeationschromatografie (HT-GPC) bestimmt. Im Fall von Maleinsäureanhydrid-gepfropftem (MAH) Polypropylen kann der Gesamtgehalt an MAH mittels Titrationsverfahren oder mit spektroskopischer Analyse wie der Infrarotspektroskopie ermittelt werden.

Messtechnische Problemstellung

In der Praxis werden zur Beurteilung des Adhäsionsverhaltens von Haftvermittlern mechanische Kennwerte herangezogen. Hierfür sind der T-Peel-Test, der 180°-Peel-Test und der Trommelschältest weit verbreitet. Deren Ergebnisse geben jedoch vor allem die Eigenschaften des geprüften Systems wieder, das über das Adhäsionsverhalten der Haftvermittler hinaus auch stark von den Fügepartnern, deren Formgebungsprozess und der Probenvorbereitung (Konditionierung) abhängt. Daher bringen die mechanischen Tests bei fortgeschrittenen Entwicklungsstufen den größten Nutzen, wenn Strukturen aus Verbundwerkstoffe in Festigkeitsbetrachtungen ausgelegt werden sollen. Dem gegenüber sind die zuvor genannten chromatografischen und spektroskopischen Untersuchungen zwar in früheren Entwicklungsstadien möglich, jedoch liefern sie Aussagen zur chemischen Zusammensetzung der Haftvermittler selbst, während eine Übertragbarkeit auf das Systemverhalten einer Probe aus Verbundwerkstoffe nur schwer möglich ist.

Für Neuentwicklungen, die auf die Anwendungsbereiche Kunststoff-Kreislaufwirtschaft, Verbundwerkstoffe und Mehrschichtfolien oder zum Beispiel Photovoltaik abzielen, kommt erschwerend hinzu, dass eine Vielzahl unterschiedlicher Belastungen berücksichtigt werden muss, die kombiniert auftreten können. Dadurch wird die Lücke zwischen den analytischen Materialuntersuchungen und den mechanischen Werkstoffprüfungen erheblich vergrößert. Ein inhärentes Problem dabei ist, dass Tests und gegenwärtige molekulare Charakterisierungsmethoden das Langzeitverhalten von Haftvermittlern in Anwendungen nicht ausreichend abbilden.

Diese vorgeschlagenen analytischen Herangehensweisen berücksichtigen jedoch nicht

  1. den Anteil von tatsächlich gepfropftem Polyolefin,
  2. die Verteilung des Pfropfmonomeren entlang der Molmassenverteilung,
  3. die Verteilung des Pfropfmonomeren zwischen den Ketten,
  4. den Anteil freier Pfropfmonomere. 

Der messtechnische Stand der Technik lässt die folgenden Fragen offen:

  1. Inwieweit werden Mechanik und Performance durch die chemischen Eigenschaften beeinflusst?
  2. Lassen sich die mechanischen Eigenschaften aus den analytischen Daten ableiten?

Die Informationen aus 1. – 3. sind zur Ermittlung von Struktur-Eigenschaftsbeziehungen, für eine Optimierung des Pfropfungsprozesses sowie die Optimierung der Verarbeitungsbedingungen von erheblicher Bedeutung. Der Anteil an nicht genutzten freien Pfropfmonomeren (4.) ist für regulatorische Zwecke von essenzieller Bedeutung. Die Klärung der beiden Fragen kann Prüfzeiten verkürzen und Entwicklungen beschleunigen.

Ziele des Verbundprojektes sind

  • analytische Methoden zur molekularen Strukturaufklärung von Pfropfcopolymeren für Haftvermittler zu entwickeln, die die Inhalte der o.g. Punkte 1. bis 4. aufgreifen.
  • Messdaten aus Peel-Tests sollen systematisch mit analytischen Daten verglichen werden. Durch Auffinden eines Zusammenhangs zwischen Peel-Tests und chemischer Analytik soll eine Abschätzung des zu erwartenden Peel-Verhaltens aus den analytischen Daten ermöglicht werden, entsprechend der offenen Fragen 1. und 2.

Darüber hinaus soll das Verbundprojekt auch Interessenten entlang der gesamten Wertschöpfungskette eine interdisziplinäre Plattform bieten, um zielgerichtet Lösungsansätze für die sich rund um den Themenkomplex [Eingabe] ergebende technische Problemstellung zu erarbeiten.

 

Haftvermittler verstehen: Analytische und mechanische Werkzeuge
Molekulargewichtsverteilung (MWD) und Verteilung des Co-Monomeren eines modifizierten Polyolefins (PO) bestimmt durch eine GPC-IR-Analyse.

Schwerpunkte & Vorgehensweise

Im Vorhaben wird zunächst der Stand der Technik (offene und Patentliteratur) zur Charakterisierung von Pfropfcopolymeren zusammengetragen. Davon ausgehend sollen technologische Lücken identifiziert sowie der Bedarf konkretisiert und Lösungsansätze erarbeitet werden.

Die angestrebte Analytik soll es ermöglichen, mittels Pfropfung polar modifizierte Polyolefine hinsichtlich bisher nicht zugänglicher aber für die Anwendungseigenschaften relevanter molekularen Parameter zu analysieren. Im Fokus stehen dabei:

  • Verteilung des Pfropfmonomeren entlang des Molekulargewichtes,
  • Anteil gepfropften Materials bzw. Anteil ungepfropften Polyolefins,
  • Molekulargewichte des gepfropften und ungepfropften Anteils,
  • Restmonomergehalt.

Diese Methoden werden an gut charakterisierten Mustern in enger Abstimmung mit den Teilnehmern ausgearbeitet. Im Fokus stehen hier (gekoppelte) HPLC-Methoden und deren Kopplung/Erweiterungen mit Multispektraldetektion. Hierzu steht am LBF eine umfassende Ausrüstung zur Hochtemperatur-HPLC zur Verfügung. Detektionsseitig können beispielsweise, je nach angestrebter molekularer Information, ein Infrarot- oder UV-Detektor sowie die NMR-Spektroskopie, FT-IR-Spektroskopie oder Raman-Mikroskopie eingesetzt werden. Anschließend werden die entwickelten Techniken auf spezielle Proben der teilnehmenden Projektpartner angewendet. Die Detailplanung und Auswahl der Experimente erfolgen in enger Abstimmung mit den Teilnehmern und unter Berücksichtigung des jeweiligen Inputs. Besonderes Augenmerk soll dabei auf einem möglichen Einsatz der zu entwickelnden Analysenmethoden in der Laborumgebung eines Routinelabors liegen.

Parallel werden die heute gängigen mechanischen Prüfungen zusammengetragen und bewertet. Im Fokus stehen dabei insbesondere unterschiedliche Varianten von Peel-Tests. Im Fraunhofer LBF stehen für diesen Zweck leistungsfähige Prüfverfahren bereit: Beginnend bei quasi-statischen Prüfverfahren (Zugversuch, Dreipunkt-Biegung), über Prüfeinrichtungen für Kriech- und Relaxationsversuche (auch unter dem gleichzeitigen Einfluss von Wasser oder Kühlflüssigkeiten) hin zu dynamisch-mechanischen Testständen, die darüber hinaus auch eine Regelung der Umgebungsfeuchte und -temperatur ermöglichen (environmental DMTA). Auf diesen Vorarbeiten und dem verfügbaren Instrumentarium aufbauend, sollen mechanische Prüfungen auf der Basis von Peel-Tests mit chemisch-analytischen Experimenten verknüpft werden, um die Anbindung gepfropfter Polyolefine im Detail untersuchen zu können (o.g. Fragestellungen 5 und 6).

Eine Probenbereitstellung durch die Teilnehmer ist derzeit vorgesehen, Ausnahmen können im Kick off - Meeting diskutiert werden.

In Abhängigkeit der Anzahl der Teilnehmer und des Projektbudgets können weiterführende Untersuchungen an Haftvermittlern durchgeführt werden, die in Laborversuchen beschleunigt gealtert werden. Hierzu steht im LBF eine umfangreiche Ausrüstung zur Bewitterung nach dem Stand der Technik zur Verfügung, mit der der Einfluss von Temperatur, Feuchte/Wasser, UV-Strahlung, etc. auf die chemischen und morphologischen Materialveränderungen gezielt nachgestellt wird. Hinsichtlich alterungsbedingten Materialversagens treten solche Veränderungen sowohl im Materialvolumen als auch an der Grenzfläche auf, weshalb zu ihrer Untersuchung mit hoher Ortsauflösung Infrarot- und Raman-Mikroskopie und Elektronenmikroskopie zur Verfügung stehen.

Final sollen die Ergebnisse der physikalisch-chemischen Materialanalytik mit denen der mechanischen Prüfungen zusammengeführt werden, um daraus die Struktur-Eigenschaftsbeziehungen entwickeln zu können, die für zukünftige Anwendungen im Bereich der Photovoltaik und der Kreislaufwirtschaft genutzt werden können.

Ihre Vorteile im Projekt:

  • Optimierung der eigenen Prozesse hinsichtlich Ökonomie und Produktqualität
  • Beitrag zur Stärkung der Lieferkette / Resilienz
  • Signifikant verbesserte und auf die Langzeiteigenschaften angepasste Materialauswahl