Von der Kunststoffindustrie werden tragfähige und praktisch umsetzbare Lösungen erwartet, die den Anteil von Rezyklaten, auch in technisch anspruchsvollen Anwendungen, deutlich erhöhen.
Wesentliche Treiber sind gesetzliche Auflagen auf nationaler (Kreislaufwirtschaftsgesetz (KrWG, einschließlich ihrer Novellen) und europäischer Ebene (Circular Economy Action Plan und daraus abgeleitete Initiativen und Verordnungen) und in der Zukunft zu erwartende gesetzliche Initiativen (z.B. die EU Single Use Plastic (SUP) Directive 2019/904). Dabei ist die wesentliche Forderung der verpflichtende Einsatz von post-consumer Rezyklaten in möglichst hohen Gehalten.
Während post-industrial-Rezyklate (PIR) noch sehr definiert zusammengesetzt sind, ist die Vielfalt möglicher Zusammensetzungen (z.B. Fremdpolymere, Nicht-Kunststoffanteile, Additive, Klebstoffe, etc.) und Alterungszustände bei post-consumer-Rezyklaten (PCR) sehr hoch und nicht zuletzt regional und saisonal (stark) unterschiedlich. Derartige Schwankungen in den Eingangsqualitäten haben jedoch zwangsweise Auswirkungen auf die Produkteigenschaften. Beispielsweise verschlechtern sich in der Regel die Verarbeitungs- und die mechanischen Eigenschaften mit steigendem Anteil an PCR im Compound bzw. im daraus hergestellten Produkt. Auch die Alterungsbeständigkeit und damit die Lebensdauer eines Compounds wird wesentlich durch seine Zusammensetzung bestimmt. Der Zustand des eingesetzten Stoffstroms sowie die verwendeten Sortier‑, Trenn- und Aufbereitungstechnologien bestimmen entscheidend die Qualität des resultierenden Rezyklats. Der Compoundeur hat darüber hinaus verschiedene Möglichkeiten, die Qualität und die Eigenschaften durch verschiedene Maßnahmen weiter zu optimieren. Etwa durch eine gezielte (Re-)Additivierung (z.B. im Falle von Kondensationspolymeren wie PBT, PA, etc. durch Stabilisatoren, Kompatibilisatoren oder Kettenverlängerer) oder durch den anteiligen Einsatz von Neuware.
Bereits die Identifikation und Bewertung geeigneter extrudierfähiger Sekundärmaterialien (z.B. sortierte und aufgereinigte Flakes oder Mahlgut bzw. Re-Granulat) ist mit hohem Aufwand verbunden. Die nachgelagerten Schritte (z.B. Charakterisierung bzw. Qualitätskontrolle, Homogenisierung, etc.) sind ebenfalls aufwendig und häufig an die Sicherung großer Chargen gekoppelt. Die Komplexität erhöht sich nochmals durch die Variablen in der Compoundierung (Formulierung, Prozess). Ob im Ergebnis die Zieleigenschaften (vor allem mechanische Eigenschaften, Alterungsbeständigkeit) erreicht werden und diese auch über weitere Variablen (wie Charge-zu-Charge-Variabilität der Eingangsstoffströme) sicher beherrscht werden, zeigt sich oftmals erst spät im Entwicklungs- oder Optimierungszyklus. Vielfach erfolgt dies nach der trial-and-error-Methode.
Ziel des Verbundprojektes ist es, umfangreiche Kenntnisse zu Abhängigkeiten zwischen der Konfektionierungsform (z.B. Flakes, Mahlgut, Granulat), der chemischen Zusammensetzung der Eingangsmaterialien, Einflussgrößen während der Compoundierung (z.B. Anteil und Zustand Rezyklat, Re-Additivierung) und den resultierenden Anwendungseigenschaften, vor allem mit Blick auf das mechanische Verhalten sowie die Alterungsbeständigkeit, zu entwickeln und zu vermitteln. Dies erfolgt am Beispiel ausgewählter Kondensationspolymere, die in technischen Anwendungen zum Einsatz kommen, wie z.B. Polyamide (PA), Polyethylenterephthalat (PET), Polybutylenterephthalat (PBT) oder Polycarbonat (PC).
Das Projekt soll darüber hinaus auch als interdisziplinäre Plattform von Akteuren der gesamten Wertschöpfungskette dienen, um zielgerichtet Lösungsansätze für die sich rund um den Themenkomplex Kreislaufwirtschaft für technische Kunststoffe ergebende technische Problemstellung zu erarbeiten.
Im Vorhaben werden zunächst grundlegende Informationen zu verfügbaren (extrudergängigen post-industrial bzw. post-consumer) Rezyklaten (z.B. Granulate, Flakes, Mahlgut, etc.) für die ausgewählten Zielpolymere (Polyamide, Polyester) gesammelt und bewertet. Dies beinhaltet Informationen zu Verfügbarkeiten, Qualitätsbeschreibungen der Rezyklate und Bezugsquellen (sofern verfügbar). Weiter werden die wesentlichen, im Stand der Technik und Wissenschaft (offene und Patentliteratur) beschriebenen Maßnahmen zur Qualitätssteigerung auf Ebene der Compoundierung (z.B. Kompatibilisierung, Kettenverlängerer, Re-Stabilisierung, etc.) an ausgewählten Rezyklaten beispielhaft zusammengefasst. Ein Überblick über relevante und aktuell verfügbare Additive bzw. Additivpakete zur Optimierung der mechanischen Eigenschaften und des Alterungsverhaltens in technischen Kunststoffen auf Basis von Rezyklaten rundet diesen Part ab. Die wesentlichen Einflussfaktoren aus dem Stand der Technik hinsichtlich der Abhängigkeiten der mechanischen Eigenschaften und des Alterungsverhaltens von den Eingangsmerkmalen der Rezyklate werden zusammengetragen und bewertet. Dabei werden systematisch material- und zustandsspezifische Faktoren betrachtet, wie die Art des Polymeren (Polyamide, Polyester, Polycarbonate), die Qualität des eingesetzten Rezyklats (sofern berichtet: Art und Menge von Verunreinigungen) und ggf. dessen Alterungszustand. Andererseits werden die heute bekannten Informationen zu Wirkweisen und Mechanismen der Alterung an Rezyklaten (z.B. Hydrolyse, thermo-oxidativer Abbau, etc.) und ihrer Einflussfaktoren zusammengetragen; schließlich werden die berichteten Korrelationen zu physikalisch-chemischen Parametern (Art und Menge enthaltener Additive, Kettenlängen und Endgruppen), die berichteten Modelle zur Beschreibung (und, sofern möglich, Vorhersage) des Alterungsverhaltens betrachtet. Die Schwerpunkte dieser Recherchen (z.B. Klasse und Type des Polymers, (un)verstärkt, etc.) werden im Kreise der Teilnehmer abgestimmt und gemeinsam festgelegt. Zusammen mit den Projektteilnehmern werden die Einflussfaktoren aus den Eingangsrezyklaten auf die mechanischen Eigenschaften und das Alterungsverhalten gewichtet.
Unter Berücksichtigung individueller Anforderungsprofile werden am Fraunhofer LBF beispielhafte und repräsentative Formulierungen unter Nutzung von ausgewählten Rezyklaten und definierten Additiven hergestellt. Die eingesetzten Rezyklate werden zuvor eingehend im Hinblick auf für die Verarbeitung und die Anwendungseigenschaften relevante molekulare Parameter charakterisiert. Der Fokus liegt dabei auf der chemischen Zusammensetzung (hinsichtlich Polymeranteil und Fremdstoffen), den Additiven und der Molekulargewichtsverteilung. Von den hergestellten Compounds werden rheologische Eigenschaften ermittelt und ihr mechanisches Verhalten (Zug-Dehnungs-Versuche, ggf. Charpy-Kerbschlagzähigkeit) bewertet. Zur Bewertung der Alterungseigenschaften wird eine Ofenalterung (Zug-Dehnungsverhalten bei einer definierten Temperatur in Abhängigkeit der Zeit, bei ca. 6 Alterungszeitpunkten) durchgeführt. Im Rahmen des Projektes werden mehrere Compoundier- und Spritzgusskampagnen (max. insgesamt 60 Variationen, aufgeteilt auf mehrere Kampagnen) durchgeführt, um die Vielzahl der Einflussparameter weiter reduzieren und die zugrundeliegenden Abhängigkeiten immer besser verstehen zu können. Die Detailplanung und Auswahl der Experimente erfolgen in enger Abstimmung mit den Teilnehmern und unter Berücksichtigung des jeweiligen Inputs. Nach jeder Kampagne werden ausgewählte materialanalytische Untersuchungen durchgeführt, um die zugrundeliegenden Wirkweisen und Abhängigkeiten auch auf molekularer Ebene näher verstehen zu können. Hier kommen verschiedene thermische (z.B. TGA, DSC), mikroskopische (z.B. REM, IR- und Ramanmikroskopie), spektroskopische und chromatografische Methoden (z.B. NMR, GPC, HPLC) zum Einsatz. Auf diesen Erkenntnissen aufbauend werden Struktur-Eigenschafts-Beziehungen abgeleitet mit dem angestrebten Ziel, Abhängigkeiten der mechanischen und rheologischen Eigenschaften sowie der Langzeiteigenschaften (z.B. des Alterungsverhaltens) beim Einsatz von PCR ausgewählter technischer Thermoplasten besser zu verstehen. Darüber hinaus sollen diese Erkenntnisse für eine Abschätzung oder Vorhersage ähnlicher Zusammensetzungen dienen.