Der Umbruch der Energiewirtschaft mit dem Aufbau einer auf Wasserstoff basierenden Wirtschaft eröffnet die Chance, nachhaltig einen positiven Einfluss auf die Umwelt und den globalen Klimaschutz zu nehmen. Eine kurzfristige Umstellung ist allerdings nicht so einfach möglich, da neben der unzureichenden Verfügbarkeit des Wasserstoffs auch weiterhin ein sicherer Betrieb der Anlagen sichergestellt werden muss. Aufgrund des bekannten, versprödenden Einflusses des Wasserstoffs bei metallischen Werkstoffen, der sog. Wasserstoffversprödung, sind wasserstoffexponierte Komponenten hinsichtlich ihrer Beständigkeit zu untersuchen. Nur damit kann ein vorzeitiges Bauteilversagen mit den damit verbundenen Gefahren ausgeschlossen werden.
Um die Werkstoff-Beanspruchbarkeit in Abhängigkeit der Legierung und Qualität gegenüber äußeren Lasten in einer Wasserstoffumgebung zu untersuchen und zu quantifizieren, sind spezielle Versuchseinrichtungen notwendig. Anhand der gewonnenen Daten und Erkenntnisse können für den Einsatz in Brennstoffzellen, Direktverbrennern, Rohrleitungen und anderen Wasserstoff-führenden Baugruppen und Systemen geeignete Materialien identifiziert und für die Anwendungen in Wasserstoffumgebungen optimal ausgelegt werden.
Zur Untersuchung des zyklischen Werkstoffverhaltens unter dem Medium Wasserstoff, wird am Fraunhofer LBF seit mehreren Jahren eine spezielle Versuchseinrichtung zur Durchführung von kraft- und dehnungsgeregelten Versuchen unter Druckwasserstoff mit Gasdrücken von 10 bis 50 bar eingesetzt. Neben der Durchführung von Referenzuntersuchungen in inerter Stickstoffatmosphäre mit einem Druck von 10 bar, besteht auch die Möglichkeit zur Temperierung des Autoklaven, mit regelbaren Temperaturen zwischen -40 °C und +130 °C.
Mit einem Beitrag zur Gewährleistung der Zuverlässigkeit wasserstoffexponierter Komponenten, forscht das Fraunhofer LBF im Rahmen eines Fraunhofer-internen Forschungsprojektes H2-DII – „Eine Wasserstoffwirtschaft für Deutschland“ zusammen mit 24 weiteren Fraunhofer-Instituten an der Beantwortung zentraler Fragestellungen zum Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft in Deutschland. Dazu gehören die Produktion von Wasserstoff mittels Elektrolyse (Schwerpunkt 2) sowie eine sichere Infrastruktur und sichere Technologien (Schwerpunkt 3) für dessen Transport, Speicherung, Verteilung und Verwendung. Der Schwerpunkt der Untersuchungen fokussiert auf hochrelevante Anwendungsbeispiele, wobei im Schwerpunkt H2DIGITAL (Schwerpunkt 4) Schlüsselkomponenten der Wertschöpfungskette modellbasiert abgebildet werden. Im Rahmen der systemischen Gesamtbetrachtung (Schwerpunkt 1) werden final alle Einzelschwerpunkte mit Fokus auf eine zukünftige Wasserstoffwirtschaft und Einbindung dieser Technologie in das Gesamtenergiesystem gemeinsam betrachtet.
Neben der Schwerpunktleitung wurden seitens des Fraunhofer LBF in diesem Kontext im Schwerpunkt 3 (sichere Infrastruktur) Untersuchungen mit der im Fraunhofer-internen Forschungsprojekt H2-D entwickelten elektrochemischen Zelle durchgeführt. Mit dieser Zelle ist es möglich, Proben bei Anliegen einer äußeren Last elektrochemisch mit Wasserstoff zu beladen. Das Aufbringen der äußeren Last führt zu einer elastischen Dehnung der Metallmatrix, sodass Wasserstoff besser eindringen und innerhalb des Gefüges diffundieren und somit mehr Wasserstoff in die Probe eingebracht werden kann. Mithilfe dieser Untersuchungseinrichtung können im Vergleich zur Druckwasserstoffbeaufschlagung bei reduziertem Zeit- und Kosteneinsatz Aussagen über eine mögliche Wasserstoffanfälligkeit metallischer Werkstoffe getroffen werden.
Unter Einsatz dieser Zelle wurden Werkstoffproben des lufthärtenden Schmiedestahls 1.5132 ohne Überlagerung einer äußeren Last bei unterschiedlichen Beladungsdauern von 6 bis 24 Stunden vorbeladen und anschließend unter Dehnungsregelung an Luft ermüdet. Als Elektrolyt wurde 0,1M NaOH + 1g/l Thioharnstoff verwendet und eine Stromdichte von konstant 10 mA/cm² eingestellt. Hierbei konnte beobachtet werden, dass sich mit zunehmender Beladungsdauer die Anrisslebensdauern zu geringeren Werten hin verschoben. Die Schädigung durch den elektrochemisch eingebrachten Wasserstoff war jedoch nicht ausreichend, um eine vergleichbare Lebensdauerminderung wie unter Druckwasserstoffumgebung einzustellen.
Da auch mit einer weiteren Erhöhung der Vorbeladungszeit keine weitere signifikante Reduktion der Lebensdauer erreicht werden konnte, wurde die Probe während der Wasserstoffbeladung mit einer äußeren Last beansprucht, um mehr Wasserstoff in das elastisch gedehnte Gitter einzubringen. Die Proben wurden mit einer Nennspannung von 700 MPa beansprucht und analog der Vorgehensweise bei der lastfreien Vorbeladung mit Wasserstoff für 24 h beladen. Im Anschluss daran wurde die Probe wieder an Luft im dehnungsgeregelten Versuch bei einer Totaldehnungsamplitude von sa,t = 0,8 % ermüdet. Als Ergebnis dieser Untersuchung konnte aufgezeigt werden, dass durch diese Form der elektrochemischen Wasserstoffbeladung sehr wahrscheinlich höhere Wasserstoffgehalte in das Gefüge eingebracht werden, da sich die Anrissschwingspielzahl im Vergleich zur lastfreien Vorbeladung tendenziell weiter reduzierte.
Mit den vorliegenden Untersuchungsergebnissen konnte für einen ausgewählten Lasthorizont im Kurzzeitfestigkeitsbereich gezeigt werden, dass es möglich ist, den schwingfestigkeitsmindernden Einfluss einer Druckwasserstoffumgebung durch elektrolytisch angebotenen Wasserstoff gut abzubilden. Es zeigt sich, dass durch die Kombination von elektrochemischer Vorbeladung und simultaner elastischer Beanspruchung der Eintrag des Wasserstoffs in die Probe erhöht wurde, da sich die Anrissschwingspielzahl im Vergleich zur lastfreien Vorbeladung nochmals reduzierte. Quantitative Analysen der Wasserstoffgehalte sind derzeit noch ausstehend. In weiteren Vorhaben wird zudem untersucht, ob diese Art der Versuchstechnik auch für Lasthorizonte im Bereich der Langzeitfestigkeit mit höheren Anrisslebensdauern bzw. Versuchslaufzeiten geeignet ist.
Das Fraunhofer LBF unterstützt Unternehmen z.B. aus den Bereichen Transport, Energie sowie des Maschinen- und Anlagenbaus bei der Entwicklung zuverlässiger, leichter und effizienter Produkte, die mit Wasserstoff beaufschlagt werden. Hierfür werden kundenspezifische oder individuelle Analyse- und Versuchskonzepte eingesetzt, um den gestiegenen Anforderungen für den Betriebsfestigkeitsnachweis gerecht zu werden und die realen Betriebsbedingungen optimal abzubilden.
Zur Bewertung einer möglichen Wasserstoff-bedingten Anfälligkeit unterschiedlicher Werkstoffe, ist es zwingend notwendig entsprechende Untersuchungen durchzuführen. Nur hiermit kann ausgeschlossen werden, dass aufgrund von Unkenntnis ein frühzeitiges Versagen von Bauteilen und Systemkomponenten auftritt, was möglicherweise zu fatalen Folgen für den Nutzer führt.